Grubenhelden: Kohle und Kleidung

von Alexandra M.

Erzählt man außerhalb des Ruhrgebiets, dass man aus dem „Pott“ kommt, verbinden das Viele mit einer dreckigen und grauen Gegend. Die Rede vom „Dreck“ im Ruhrgebiet begleitet dieses schon lange. Häufig ist es mehr als nur eine Verbindung mit der Montanindustrie, sondern auch ein ökologischer Aspekt, an den die Menschen denken.[1] Ein junger Unternehmer möchte dieses negative Image ändern und gründete aus dieser Motivation heraus 2016 das Modelabel Grubenhelden. Sein Ziel ist es, ein anderes Bild zu vermitteln: Eines, das die Vergangenheit positiv besetzt und zeigt, wie wichtig der Kohleabbau für die Menschen und die Wirtschaft in ganz Deutschland war.[2] Mit diesem Hintergedanken designt das junge Label Kleidung, die sich mit der Geschichte ihrer Heimat auseinandersetzt. Doch wie passt junge Mode und vergangene Industriesymbolik zusammen?

Kleidung und Symbolik

In der Sachkulturforschung der früheren Volkskunde waren Forschungen über Kleidung semiotisch ausgerichtet. Dinge wurden dabei vor allem als Zeichen und Indikatoren eines großen symbolischen Bedeutungssystems gesehen. Kleidung wurde also als „Schlüssel für…“ analysiert.[3] Gegenwärtig werden Dinge stärker in ihrer Einbettung in Handlungs- und damit Bedeutungsebenen erforscht. So gerät das Kleidungsstück als Handlungsobjekt in den Fokus. Wie wird Kleidung hergestellt und gebraucht, was ist ihre Funktion? Denn durch Kleidung werden auch bestimmte Ideale, Ideen und Vorstellungssysteme ausgedrückt.

In dem vorliegenden Forschungszusammenhang, in dem Mode mit der Vergangenheit des Ruhrgebiets vereint ist, wird auch eine symbolische Verbindung zur Tradition geschaffen. Mode und Tradition gelten teilweise bis heute als unüberbrückbare Gegensätze. Dabei befinden sich beide in einem rückbezüglichen Wechselverhältnis und beeinflussen sich gegenseitig. Tradition „begründet sich in der Achtung des Gewesenen und der Anerkennung der Leistung […], die vor uns da waren“. Mode wird dazu im Gegensatz oft mit einer Permanenz des Wandels definiert.[4] Jedoch fließen in die Mode auch immer Eigenschaften der Tradition mit ein, wie am Beispiel Grubenhelden deutlich wird.

Stoff und Stil

Der Stoff, aus dem die Kleidung hergestellt wird, spielt für das Unternehmen eine zentrale Rolle. Auf ihrer Website werben sie mit dem Spruch: „Der Stoff, aus dem Geschichten sind“. Das ist auch wörtlich zu nehmen, denn der gestreifte Stoff ist „der Originalstoff aus dem die Grubenhemden gefertigt wurden“, so Madita, meine Interviewpartnerin vom Label Grubenhelden. Hierin wird der Gegensatz von Kleidung und Tradition deutlich.[5] Die Bergarbeiterkleidung wird heute nicht mehr genutzt – sie gehört zur Tradition des Kohleabbaus. Das Unternehmen schlägt mit der Einbindung von Arbeitskleidung in moderne Shirts eine Brücke über die Gegensätzlichkeit. Der Stoff, der aus Geschichten „gewebt“ wurde, wird in gegenwärtige Kleidungsstücke eingebaut.[6] Auf diesem Wege wird die Vergangenheit sichtbar mit der Gegenwart verbunden.

Abbildung 1: Originalstoff – Instagrambild[7]

Diesen Stoff findet man in fast jedem Kleidungsstück wieder: häufig sehr offensichtlich als einen Streifen im Shirt, oder auch versteckt im Innenfutter. Das Label Grubenhelden möchte mit dieser Basis aus Originalstoffen die Verbundenheit mit der Geschichte des Ruhrgebiets hervorheben.[8]
Sieht man sich auf dem Instagram-Account des Modelabels weitere Kleidungsstücke an, fällt einem ein weißes Oberteil mit schwarzen Flecken auf. Ohne den Zusammenhang mit dem Ruhrgebiet könnte das Shirt womöglich nicht direkt mit dem Abbau von Kohle verbunden werden. Setzt man das Kleidungsstück aber in sein intendiertes symbolisches Bedeutungssystem, also in Verknüpfung mit der Tradition der Montanindustrie, kann die Bedeutung hinter dem Design verstanden werden. Die schwarzen Flecken können auf diese Weise als Kohleflecken gelesen werden. Madita konnte mir noch weitere Details zu diesem Design verraten: „Das war eine Kollektion, für die unser Geschäftsführer noch einmal selbst auf der Zeche Auguste Victoria angefahren ist und ein Stück Kohle mitgebracht hat“. Sie erzählte weiter, dass mit der Kohle dann auf einen Stoff gemalt wurde. Die Namen der Shirts sind letztendlich die Koordinaten der Schächte, aus denen das Stück Kohle für den Stoff hochgeholt wurde, beispielsweise 41°N für das Herrenshirt. Sowohl das Design der Shirts als auch ihre Namen tragen eine Symbolik, die ohne die Verbindung zum Kohleabbau keinerlei Bedeutung vermittelt.

Abbildung 2: Herrenshirt – Instagrambild [9]

Setzt man sich genauer mit dem Label auseinander, wird jedes Detail von einer Bedeutung gefüllt, die mit dem ehemaligen Bergbau in der Region in Verbindung steht. Madita erzählte mir, dass sie dennoch nicht „plakativ mit einem Förderturm auf der Brust“ eine gedankliche Verknüpfung zum Ruhrgebiet schaffen wollten, sondern „mit vielen Details die Neugierde wecken, sodass man sich wirklich damit beschäftigen muss“. In Maditas Aussage wird eine Abneigung gegen eine direkte, leicht lesbare Symbolsprache des Ruhrgebietes deutlich. Dass eigentlich immer weniger mit Bildern aus der Industriegeschichte der Region geworben wird, stellte auch der Kulturanthropologe Jens Wietschorke fest: Die neue kulturelle Ökonomie bediene sich eher der Bilder und Symbole einer neuen Kunst- und Kulturszene. Noch immer werden der Kohleabbau und die Geschichte des Ruhrgebiets in der Vorstellung der Menschen untrennbar mit der Region verbunden: ein regionales „Imaginäres“, wie es der Stadtforscher Rolf Lindner beschreibt.[10] Auch das Label Grubenhelden ist ein Beispiel dafür, dass das „Imaginäre“ des Ruhrgebietes, also hier der Kohleabbau, zwar noch immer eine wichtige Rolle in der Ökonomie spielt, dieses jedoch nicht mehr direkt, sondern indirekt in eine neue regionale Ökonomie eingebunden wird. In dieser neuen Kulturszene kann sich das Unternehmen Grubenhelden sehr gut verorten. Jedoch sind die Bildbezüge in der Kultur und Kunst nun verändert. Grubenhelden ist ein gutes Beispiel, da nicht jedes Kleidungsstück auf den ersten Blick mit dem Kohleabbau in Verbindung gebracht werden kann. Wenn man sich aber näher damit beschäftigt, steht ein großes Gemeinschaftsgefühl hinter der Symbolik, die sowohl Madita als typisch empfindet,[11] und die auch von Lindner benannt wird.[12]

Mode und Stolz

Auf die Frage, warum denn ausgerechnet Kleidung die Geschichte des Ruhrgebiets erzählen soll, konnte mir Madita schnell eine Antwort geben: „Jeder Mensch, egal wo auf der Welt, beschäftigt sich morgens mit der Frage: Was ziehe ich an? So steht jeder vor dem Spiegel. Und wenn ich mit der Kleidung, die ich dann trage, noch eine Geschichte erzählen kann, dann haben wir alles erreicht“.

Madita erklärte mir, dass sich das Unternehmen das Ziel gesetzt hat, die Geschichte des Ruhrgebiets weiterzuerzählen – vor allem das Positive, was bei dem negativen Image verloren geht. „Alles erreicht“ hat das Unternehmen dann also, wenn an anderen Orten über ein Kleidungsstück von Grubenhelden vom Stolz der Region, von der früher prosperierenden Wirtschaft und vom Gemeinschaftsgefühl erzählt wird.[12] Die Kleidung zeigt eine deutliche Verbindung zur Tradition und Vergangenheit und verknüpft diese recht einfach. Obwohl die vergangene Kohleindustrie für junge Menschen im Ruhrgebiet nicht mehr als Identifikationspunkt erscheinen müsste, wird sie immer wieder durch verschiedene künstlerische und kulturelle Aushandlungen aufgegriffen und neu verarbeitet.[13] Die Kleidung drückt also ein verändertes Wertesystem aus. Die Symbolik der Kleidung wird mit positiven Werten belegt und das Traditionskonzept des Ruhrgebietes wird genutzt, um Stolz und Zusammenhalt auszudrücken. Madita erklärte mir, dass sie und auch Grubenhelden es als ihre Aufgabe sehen, die Geschichte des Ruhrgebietes zu erzählen, damit mehr Menschen darüber nachdenken, wie die Region zu dem wurde, was sie heute ist. Dass in der Zeche ein Vertrauen zueinander geschaffen wurde, das bis heute anhält, und dass dieses Vertrauen ein Wert des Ruhrgebietes ist, der verbreitet werden soll: „Es sind für mich auch Werte, die wir mit dem Label transportieren wollen. Unter Tage arbeiten ist hart und eng, da musst du den anderen vertrauen. […] Wir sehen das als unsere Aufgabe, dass sich die Jugend da mitzugehörig fühlt“. Die Kleidung vermittelt also Ideen, Vorstellungen und auch Gefühle, die viele in der heutigen Generation mit ihrer Heimat in Beziehung setzen. Das Label möchte, „dass die Leute etwas anderes mit dem Ruhrgebiet verbinden“.

Ich möchte hier noch einmal zur Semiotik zurückkehren. Bedeutung entsteht, wie beschrieben, wenn Zeichen im Empfänger eine Interpretationsreaktion hervorrufen.[14] Die Kleidung vermittelt ein bestimmtes Gemeinschaftsgefühl – ob dieses jedoch auch außerhalb des Ruhrgebiets Fuß fassen kann, wird sich zeigen. Es ist vorstellbar, dass eher Personen ein Kleidungsstück des Unternehmens erwerben, die eine persönliche Verbindung zur Geschichte des Ruhrgebiets haben. Diese geben schließlich durch den erklärenden Charakter ihres Kleidungsstückes das Gefühl der Gemeinschaft weiter. So werden die Werte, und damit auch Imaginationen des Ruhrgebietes, die durch die Kleidung verkörpert werden, weiterverbreitet.


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Titelbild: Facebook. Online unter: https://www.facebook.com/Grubenhelden/photos/a.1726118040962941/2351100851797987/?type=3&theater (Stand: 20.07.2019). Alle Rechte vorbehalten).


[1] Lindner, Rolf: Das Ethos der Region. In: Ders. (Hg.): Die Wiederkehr des Regionalen. Frankfurt a. M./New York 1994, S. 201-225, hier: S. 209.
[2] Auf Kohle geboren. Online unter: https://www.grubenhelden.de/de/content/4-uber-uns (Stand 07.07.19).
[3] Beck, Stefan: Die Bedeutung der Materialität der Alltagsdinge. In: Heinz Schmitt (Hg.): Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. Münster 1997, S. 175-185, hier S. 180 f.
[4] Ebd., S. 181 und Teichert, Gesa C.: Mode. Macht. Männer. Kulturwissenschaftliche Überlegung zur bürgerlichen Herrenmode des 19. Jahrhunderts. Berlin/Münster 2010, S. 31-35.
[5] Teichert: Mode. Macht. Männer (2010), S. 33.
[6] Auf Kohle geboren. Online unter: https://www.grubenhelden.de/de/content/4-uber-uns (Stand 07.07.2019).
[7] Grubenhelden Originalstoff. Online unter: https://www.instagram.com/p/BX5Mw5nlx0H/ (Stand 07.07.2019).
[8] Grubenhelden Originalstoff. Online unter: https://www.instagram.com/p/BYmBFAJlfsM/ (Stand 07.07.2019).
[9] Vgl. Lindner, Rolf: Textur, imaginaire, Habitus. In: Helmuth Berking (Hg.): Die Eigenlogik der Städte. Frankfurt a. M. 2008, S. 83-94, hier S. 86.
[10] „Daher verbinde ich auch immer Vielfalt mit dem Ruhrpott. […] Jeder hat irgendwie Verwandte, die auf der Zeche jemalocht haben und wir haben alle eine Verbindung dazu. Das sind einfach Eigenschaften, die über Generationen in der Familie übertragen werden.“ (Interview Madita).
[11] Vgl. Lindner: Ethos der Region (1994), S. 218: „Wahlverwandte“.
[12] Vgl. Wietschorke, Jens: Von der Industriekultur zur Kulturindustrie? Historische Identität und regionale Repräsentation im Ruhrgebiet. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 55 (2010), S. 23-46, hier S. 30-37.
[13] Vgl.: Wietschorke: Kulturindustrie (2010), S. 40.
[14] Hall, Stuart: Representation: Cultural Representation and Signifying Practices. London 1997, S. 7.