von Felicitas Offergeld
Instagram-Beiträge zu einem Stadtteil der Ruhrgebiets-Metropole Essen – was könnte das sein? Bilder von begrünten Halden, Zechen, kreativer Kunst in Industrie-Umgebung? Nicht auf der Essener Margarethenhöhe, so viel steht fest. Was steckt stattdessen hinter #margarethenhöhe? Welche Geschichten erzählt die Stadt über die Siedlung?
Konzepte, um dahinter zu kommen
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mir auf Grundlage digitaler Ethnografie das soziale Netzwerk Instagram und die Homepage der Stadt Essen (www.essen.de) angeschaut; genauer gesagt die beliebtesten Beiträge unter dem Hashtag #margarethenhöhe und auf http://www.essen.de den Beitrag über die Siedlung in der Rubrik „Leben in Essen – Stadtteile“[1].
Was Menschen über Orte, Ereignisse oder Personen erzählen, verstehe ich als Narrative oder Erzählungen. Durch diese Erzählungen teilen wir einander mit, wie wir die uns umgebende Welt wahrnehmen und interpretieren, und was uns besonders wichtig daran ist. Dies kann durch mündlich weitergegebene Geschichten geschehen, durch Texte oder Bilder, auch über Architektur[2]. Diese repräsentieren dann unsere Wahrnehmungen und Zuschreibungen. Durch die Analyse solcher Erzählungen und kulturellen Repräsentationen können wir nachvollziehen, wie Dingen, Situationen oder Ereignissen Bedeutung zugeschrieben wird.[3]
Auch die Beiträge auf Instagram und die Beschreibungen auf der Homepage von Essen sind Teile dieser Erzählungen zur Margarethenhöhe. Die Fotos von Straßenzügen zum Beispiel transportieren einen Inhalt, der darauf schließen lässt, was die Instagrammer*innen in der Siedlung als besonders sehenswert empfinden und was sie emotional mit den Häusern verbinden. Und diese Ansichten und Gefühle haben etwas mit der Vergangenheit der Margarethenhöhe zu tun.
Verbindungen in die Vergangenheit
Die Geschichte der Margarethenhöhe ist der Schlüssel zur Gegenwart, deshalb zunächst ein Blick zurück: Die Geschichte begann 1906 mit einer Stiftung durch Margarethe Krupp, Witwe des Besitzers der Essener Krupp-Stahlwerke[4]. Zweck war es, die Kruppsche Arbeiterschaft, aber auch weitere weniger betuchte Teile der Stadtbevölkerung mit besserem Wohnraum zu versorgen. Die Margarethenhöhe war also ein sozialpolitisches Projekt der Wohnungsfürsorge.[5] Architekt Georg Metzendorf verfolgte mit seinem Konzept Ziele der Lebensreform- und der Gartenstadtbewegung. Dazu gehörten Neuerungen wie verhältnismäßig großzügiger Wohnraum in Ein- und Zweifamilienhäusern oder neue hygienische Standards durch innovative Warmwassersysteme.[6] Zusätzlich zum Baugrundstück der Siedlung hatte Margarethe Krupp der Stiftung 50 Hektar bewaldetes Land in unmittelbarer Nachbarschaft geschenkt, das dauerhaft unbebaut und bewaldet der Naherholung dienen sollte. Auch die Siedlung wurde begrünt und Gärten zur Selbstversorgung angelegt. Die Entfernung zu den Zechen sorgte für saubere Luft.[7]

Die Ziele setzte Architekt Metzendorf in der Konzeption der Inneneinrichtung, aber auch in der außergewöhnlichen äußeren Architektur um, die heute zum besonderen Flair des Stadtteils beiträgt. Die Gestaltung der Häuser lehnte er an malerische Kleinstadtromantik und den Barockstil an. Beispiele dafür sind die Fensterläden, schmale, kurvige Straßen, Voluten, d.h. schneckenförmige Ornamente an den Giebeln, und symmetrische Ordnungen an Plätzen. Indem er die gleichen Elemente immer unterschiedlich kombinierte, gestaltete er die Reihenhäuser individuell.[8]
Diese an historischen Vorbildern orientierte Architektur, die Geschlossenheit und Ruhe der Struktur und die etwas abseitige Lage der Margarethenhöhe trugen zu einem dörflichen Charakter bei. Damit war die Siedlung auch ein Gegenentwurf zu den umliegenden, negativ konnotierten Industriestädten mit Rauch und Schmutz. Stattdessen wurde sie mit Vorstellungen von einfachem, ländlichem Leben, Rückkehr zur Natur, einem Gefühl der Geborgenheit und Heimat verbunden.[9] Solche Zuschreibungen und Wahrnehmungen bezeichnet der Kulturanthropologe Rolf Lindner als „Imaginär“ eines Ortes.[10] Weil dieser die Eigenschaft hat, sich nur ganz langsam zu verändern, wird die Margarethenhöhe auch heute noch mit dem Schönen, Nostalgischen, Idyllischen und mit hoher Lebensqualität verknüpft. Und auch heute noch kann sie ein Ort der Erholung für gestresste Städter*innen sein.[11]
Wie schaut die Erzählung dieser Kleinstadt-Idylle aber konkret aus? Antworten habe ich auf http://www.essen.de und auf Instagram gesucht und gefunden.
Heutige Bilder…
…auf Instagram
#margarethenhöhe – das bedeutet vor allem Bilder von efeubewachsenen Fassaden, hübschen Fensterläden, von Häuserzügen mit auffälligen Giebeln oder geschwungenen Arkaden als Balkone, von blühenden Bäumen und alten Backsteinmauern. Die Motive und verwendeten Hashtags verweisen auf die Geschichtlichkeit der Anlage und bringen sie mit Schönheit und Natur in Verbindung. Dabei posteten die Instagrammer*innen vor allem Aufnahmen von Gebäuden auf der Margarethenhöhe. Auf diesen Bildern spielte aber auch die Farbe Grün durch Pflanzenbewuchs an den Häusern selbst oder in der unmittelbaren Umgebung eine große Rolle. Das ist auffällig und zeigt, dass die Nutzer*innen das Grüne auf der Margarethenhöhe besonders schätzten und dass es, wie früher, den ganzen Charakter der Anlage entscheidend prägt.
In der allgemeinen Diskussion werden derzeit ökologische Themen wie Ländlichkeit, Naturnähe in den Städten und Nachhaltigkeit in Produktion und Leben positiv bewertet.[12] Die Bilder von der Margarethenhöhe mit friedlichen, ruhigen Straßen, Blumen und berankten Fassaden spielen der Suche nach ländlicher Idylle in die Hände. Architektur und Aufbau der Siedlung sind an historische Vorbilder angelehnt und lassen so vermeintlich Verlorenes wiederfinden.[13] Historie und architektonische Verbindungen mit der Vergangenheit schätzen wir ohnehin in der Regel als besonders wertvoll ein.[14] Die Fotomotive der Instagrammer*innen vermitteln etwas von Naturbelassenheit, Ursprünglichkeit und Beständigkeit und repräsentieren damit die Idee eines Erholungsortes in Abgrenzung vom gewöhnlichen städtischen Leben. Das macht die Erzählung dieser Idylle in der Industriestadt Essen aus.
Der Beitrag einer Nutzerin vereint die beiden Aspekte Natur und Geschichtlichkeit. Ihr Bild soll deshalb beispielhaft näher betrachtet werden: Sie ließ sich vor einer Mauer aus hellen, naturbelassenen Kalksteinen ablichten. Am Fuß der Mauer wachsen Gras und andere Pflanzen aus den Bordsteinritzen. Die Mauer gehört zum Eingangsbereich der dahinter liegenden Häuser. Deren Fassaden werden neben den jeweiligen Haustüren von Kletterpflanzen berankt, auf den Fensterbänken stehen bepflanzte Blumenkästen. Die Frontalansicht der gepflegt wirkenden Häuser bestimmen geschwungene Gauben auf dem Dach und arkadenartige Balkonverzierungen. Die Instagrammerin steht im Vordergrund dieser Szenerie, bildet aber nicht den Mittelpunkt. Den größeren Bildanteil hat die Häuserreihe. Die Nutzerin kommentierte das Foto mit „Yesterday I took a walk. Very nice place with cute old houses with trees and flowers.“ Versehen ist der Text mit einem Smiley und den Emojis einer Blume und eines Hauses. Neben #margarethenhöhe verwendet sie beispielsweise auch die Hashtags #nature und #beautiful.

Auch in anderen Beiträgen wird die Margarethenhöhe mit der Zuschreibung „schön“ in Verbindung gebracht. Dagegen finden sich Selfies selten im Kontext von #margarethenhöhe, obwohl die Handy-Selbstporträts als Inbegriff des Subjektiven doch sonst fester Bestandteil dieser Plattform der Selbstinszenierung sind. Das zeigt, dass hier die Siedlung selbst im Vordergrund steht, als etwas Besonderes wahrgenommen wird, und dass die Nutzer*innen dieses „Schöne“ gerne einfangen und teilen möchten. Zu dieser Besonderheit und Schönheit trägt sowohl die lange Geschichte der Siedlung als auch die Verbindung mit Pflanzen und Natur bei. Wie oben in „cute old houses and trees and flowers“ spielen diese beiden Aspekte in vielen Texten und Bildern auf Instagram eine Rolle. Und auch das Heimatliche greifen zwei Tourismusseiten mit dem Hashtag #heimat auf.

…auf der Stadt-Homepage
Auf der Homepage der Stadt überwiegt die Hervorhebung der historischen Besonderheiten gegenüber der Erzählung als grüne Oase. Die Stadt bewirbt ihren Stadtteil in poetischer Formulierung als „Dichtung aus Grün und Stein“.[15] Obwohl im weiteren Text nicht mehr auf dieses „Grün“ eingegangen wird, zeigt sich auch hier, dass dieser Aspekt als charakteristisch für die Margarethenhöhe angesehen wird. „Stein“ verweist natürlich auf die Häuser, aus denen die Siedlung besteht. Die Bezeichnung als „Dichtung“ zeigt, dass die Margarethenhöhe als schön und außergewöhnlich wahrgenommen wird. Sie sei als „Sehenswürdigkeit weit über die Grenze Essens hinaus bekannt“.[16]
Die Gründungsgeschichte der Anlage wird ausführlich beschrieben und mit einem Link zu einer Galerie mit historischen Aufnahmen versehen. Besucher*innen der Seite erfahren, dass die Margarethenhöhe 1975 zum Denkmal erklärt wurde. Außerdem weist die Stadt in ihren Darstellungen auch auf das 100. Jubiläum des Kleinen Atelierhauses hin. Es wurde 1919 für einen Künstler auf der Margarethenhöhe gebaut und wird heute in eine Reihe gestellt mit der Einrichtung weiterer kultureller Institutionen wie dem Museum Folkwang (1922) oder der Essener Lichtburg (1927). Dazu gehört auch ein Künstlerkreis von überregionaler Bedeutung, der heute in der Tradition des Bauhauses gesehen wird.[17] Mit dem Kleinen Atelierhaus will Essen so an einem konkreten Beispiel größere historische Entwicklungen aufzeigen, die die Stadt „zur aufstrebenden Kulturmetropole in der Weimarer Republik“[18] machten und 2010 zum Titel „Kulturhauptstadt Europas“ führten.
Die für Instagram bereits festgestellten Zuschreibungen „schön“ und „heimatlich“ greift http://www.essen.de ebenso auf. Gleich der erste Artikel zur Margarethenhöhe stellt klar, dass diese „der Stadtteil mit den schönsten Straßennamen“ sei. „Romantische Straßennamen“ und „kleine, idyllische Straßen“ vermittelten ein „Heimatgefühl“, heißt es im Text. Auch dies wird auf das bei der Gründung der Anlage verfolgte Ziel zurückgeführt, „die gemütliche Atmosphäre der Siedlung zu unterstreichen und eine heimatliche Stimmung für die Bewohner zu schaffen“.[19] Diese Zuschreibungen werden durchaus mit der Gestaltung und Architektur der Häuser verbunden.[20] Die Wahrnehmung dieser „gemütliche[n] Atmosphäre“ bei der Betrachtung der pittoresken Architektur lässt dann viele zur Kamera greifen.
Zusammengefasst
Wir sehen, dass die Narrative, die Erzählungen, welche die Instagrammer*innen und die Stadt heute über die Margarethenhöhe teilen, sich aus denen speisen, die bei ihrer Gründung mit dem Konzept und der Gesamtidee verbunden wurden. Dazu gehört das Grün, das damals wie heute als etwas Besonderes und Positives genossen wird und sich auf den meisten Fotos zum Thema auf Instagram wiederfindet. Die Konzeption nach dem Ideal der reformerischen Gartenstadt und ihr über 100-jähriges Bestehen machen ihre historische Außergewöhnlichkeit aus. Sie ist der Grund, warum die Siedlung heute so gerne aufgesucht wird, und sie manifestiert sich bildlich vor allem in dem ebenfalls häufig gesuchten Motiv der Häuserreihe oder Hausfassaden.
Insgesamt verbinden viele Menschen mit der Margarethenhöhe einen idyllischen Rückzugsort in der Industriestadt Essen. Und damit unterscheiden sich die Zuschreibungen zur Margarethenhöhe scharf von den Stereotypen zum Ruhrgebiet: Hier finden sich keine Halden oder stillgelegte Fördertürme. Nur in den verwendeten Hashtags stellen die Instagrammer*innen einen größeren räumlichen Bezug her: zu Essen, zum Ruhrgebiet, zu Nordrhein-Westfalen, teilweise auch allgemein zu Deutschland. #margarethenhöhe ist also eine besondere Erzählung – die des grünen Denkmals in Essen.
[1] Margarethenhöhe. Dichtung aus Grün und Stein. Online unter: https://www.essen.de/leben/stadtteile/margarethenhoehe_1/margarethenhoehe_3.de.jsp (Stand 8.7.19).
[2] Vgl. Wietschorke, Jens: Architektur in der Kulturanalyse. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 113/2 (2017), S. 241-267.
[3] Vgl. Shenhav, Shaul: Analyzing Social Narratives. New York 2015 und Hall, Stuart: The Work of Representation. In: Ders. et al. (Hg.): Representation: Cultural Representations and Signifying Practices. London 2013 [1997], S. 1–74.
[4] Vgl. Metzendorf, Rainer/Mikuscheit Achim: Margarethenhöhe – Experiment und Leitbild 1906-1996. Essen/Bottrop 1997, S. 9.
[5] Vgl. ebd.
[6] Vgl. Buschmann, Walter: Die Margarethenhöhe. Ein Denkmal von Weltrang. In: Heinrich Theodor Grütter (Hrsg.): Die Gartenstadt Margarethenhöhe. Architektur und Geschichte. Essen 2014, S. 64–95, hier S. 88.
[7] Vgl. Petz, Ursula von: Margarethenhöhe Essen: Gartenstadt, Arbeitskolonie oder Sattelitenstadt? In: Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte 4 (1992), S. 113–325, hier S. 318.
[8] Vgl. Buschmann: Die Margarethenhöhe (2014), S. 84 f. und vgl. Metzendorf/Mikuscheit: Margarethenhöhe (1997), S. 23.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. Lindner, Rolf: Textur, imaginaire, Habitus – Schlüsselbegriffe der kulturanalytischen Stadtforschung. In: Helmuth Berking/Martina Löw (Hg.): Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung. Frankfurt a. M. 2008, S. 83–94.
[11] Vgl. Flor, Valeska (Hg.): Zwischen Landlust und Landfrust. Vorstellungen vom Leben auf dem Land. Ein Ausstellungsprojekt von Studierenden der Kulturanthropologie, Universität Bonn. Düren 2017.
[12] Vgl. Fenske, Michaela/Hemme, Dorothee: Ländlichkeiten in Niedersachsen. Kulturanthropologische Perspektiven auf die Zeit nach 1945. Göttingen 2015, S. 11.
[13] Vgl. ebd., S. 10.
[14] Rees, Anke: Das Gebäude als Akteur. Architekturen und ihre Atmosphäre. Zürich 2016, S. 16.
[15] Margarethenhöhe. Dichtung aus Grün und Stein. Online unter: https://www.essen.de/leben/stadtteile/margarethenhoehe_1/margarethenhoehe_3.de.jsp (Stand 19.6.19).
[16] Ebd.
[17] Vgl. Metzendorf/Mikuscheit: Margarethenhöhe (1997), S. 56.
[18] Ausstellung „Aufbruch im Westen. Die Künstlersiedlung Margarethenhöhe“ eröffnet. Online unter: https://www.essen.de/meldungen/pressemeldung_1302478.de.html (Stand 6.5.19).
[19] Alle Zitate: Die schönsten Straßennamen. Online unter: https://www.essen.de/leben/stadtteile/margarethenhoehe_1/schoene_strassennamen_margarethenhoehe.de.html (Stand 13.6.19).
[20] Vgl. Wietschorke: Architektur (2017).
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