Erleben offline/online? Wie sich das Erleben durch Instagram verändert

von Vanessa Vatterodt

Fotos im Grünen

Meine Forschungspartnerin und ich wandern an einem regnerischen Donnerstagvormittag im April durch die Essener Margarethenhöhe, eine Gartensiedlung, die vor allem für die Arbeiter der Firma Krupp und deren Familien Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut wurde. Wir möchten die Siedlung erkunden und unsere Erlebnisse auf Instagram teilen. Während ich viele Motive fand, die ich gerne online teilen und hochladen wollte, schaute mir meine Partnerin meistens dabei zu. Als ich sie fragte, warum dies so sei, erklärte sie mir, dass sie bestimmte Erwartungen an ein gutes Bild hat. Es muss ästhetisch, aber auch besonders und gleichzeitig repräsentativ sein. Genau darum geht es (unter anderem) in meiner Forschung: Wie verändert sich das Erleben eines Ortes, wenn man diese Erfahrung bei Instagram sofort teilen möchte?

Instagram und das instant-sharing

Das digitale Teilen von Fotos ist weit verbreitet und viele Nutzer*innen der Plattform Instagram teilen ihre Fotos sofort. Man ist unterwegs, macht ein Foto und lädt es hoch. Zudem werden oft Bildunterschriften und Hashtags hinzugefügt, welche das Foto suchbar innerhalb der Plattform machen, um somit die Fotos einem breiterem Publikum zugänglich zu machen. Was auch geschieht: Das Erleben an dem Ort, der besucht wird, verändert sich dadurch. So ist man, zumindest passiv, immer auf der Suche nach guten Motiven. Was als gut erkannt wird, ist dabei subjektiv. Doch was meine Forschungspartnerin und mich trotz unterschiedlicher ästhetischer Vorlieben verband, war, dass wir uns ständig für oder gegen das Fotografieren und Hochladen entscheiden mussten. Hier soll angemerkt werden, dass die Praktik des sofortigen Teilens, auf die sich in dieser Forschung konzentriert wurde, nur eine von vielen Arten ist, wie Instagram genutzt werden kann und wird.

„Guck mal, da!“

Als wir auf den Marktplatz der Margarethenhöhe stießen, waren wir beide erfreut. Zum einen gibt es dort einen Edeka-Markt, der sich in einem älteren Gebäude befindet und mit einem ihm angepassten Schild beworben wird. Zum anderen gibt es das Gasthaus Margarethenhöhe, das in weiß und gold aus den eher eintönigen grauen und braunen Gebäudefarben heraussticht. Nun sind wir beide einige Minuten beschäftigt: Bestaunen, Fotografieren, dabei vergeblich versuchen, das störende Haltestellenschild verschwinden zu lassen, einen anderen Winkel probieren, das beste Foto auswählen, für oder gegen Filter entscheiden, Bildunterschriften verfassen und Hochladen. Wir machen eine kurze Pause, die wir auch dafür nutzen, unsere Hände zu wärmen und uns über die Erfahrung auszutauschen.

Erfahrungen

Abbildung 1: Edeka am Marktplatz. Eigene Aufnahme.

Weder meine Forschungspartnerin noch ich sind starke Instagram-Nutzerinnen, und keine von uns nutzt die Funktion des Instant-sharings im Alltag. Ich empfand diese Art des Erlebens der schönen Margarethenhöhe als unangenehm und störend. Ich sah mich gezwungen zu fotografieren und Bilder hochzuladen. Ein Umstand, der auch der Forschung geschuldet ist, da diese darauf beruht, instant zu Teilen. Aber ich empfand das Anhalten und das auf das Smartphone Gucken, während Jemand auf mich wartete, als nicht angenehm. Ich behielt das Smartphone die meiste Zeit in der Hand, da ich die Zeit, die das Fotografieren und Hochladen dauern sollte, so kurz wie möglich halten wollte. Auch bemerkte ich, dass ich öfter als sonst den Bildschirm anschaltete und nachsah, ob schon Reaktionen auf mein Bild kamen. Meine Partnerin hatte diese Erfahrung nicht, da sie ja weniger teilte. Im darauf folgenden Interview zeigte sich, dass sie das sofortige Teilen auch als störend empfand:

„Ich glaube, ich bin eher eine Person, die den Moment genießt, klar, es kann sein, dass ich halt mittendrin auch Fotos mache, aber für mich ist es dann wichtiger, dass man das in dem Moment wahrnimmt und das erlebt, als jetzt nur darauf zu achten, dass man schöne Fotos postet…“[1]

Praktiken des Erlebens

Die Teilnehmende Beobachtung bedeutete für uns beide eine veränderte Praktik des Erlebens von unbekannten Orten. Mit Praktiken des Erlebens beschreibe ich Handlungsregelmäßigkeiten und habitualisierte Formen des Erlebens. Für uns war das ungewohnte, ständige Suchen nach Motiven und der Zeitaufwand des Hochladens störend. Die Entgrenzung der analogen und der digitalen Sphäre bedeutete für uns einen Bruch mit unseren gewohnten Praktiken des Erlebens, was uns auffiel. In diesem Zusammenhang unterscheidet Andreas Reckwitz zwischen einer nicht-ästhetischen Haltung, die zeit- und zielorientiert ist, und einer ästhetischen Haltung, die er als momentanistisch beschreibt: „Die ästhetische Haltung des Momentanismus ist […] auf den einzelnen Augenblick der Gegenwart in seinem Eigengewicht fixiert“.[2] Beim Momentanismus (abgeleitet vom Begriff Moment) spielt die Zukunft eine weniger wichtige Rolle.

Unsere Art des Erlebens bei Aktivitäten wie Spaziergängen und touristischem Erleben ist generell ästhetisch: Sie dient dem Selbstzweck. Der Zusatz des Digitalen, der die Aufmerksamkeit aus dem Moment nimmt, änderte den Zweck. Das Abspeichern des Erlebten auf einer Onlineplattform hatte für uns nicht nur Selbstzweck – es ging auch um die Teilnahme an der digitalen Gemeinschaft, um die Repräsentation der Region und des Ortes. Die Erweiterung des Zwecks bzw. der Zwecke hatte bei mir das unangenehme Gefühl zur Folge. Das Abweichen von unseren habitualisierten Praktiken bedeutete eine Neuorientierung.

Affordanzen, Schilder und Lieferwagen

Affordanzen, auch Aufforderungscharakteristika (aus dem Englischen to afford) genannt, bezeichnen Gebrauchseigenschaften, die von (materiellen) Objekten angeboten werden, so wie beispielsweise ein Stuhl, der in diesem Sinne dazu auffordert, sich hinzusetzen. Digitale Affordanzen sind dabei eine Sonderform und beziehen sich auf die besonderen Eigenschaften von digitalen Objekten, wobei „kulturell erworbene Wissensbestände“ miteinbezogen werden.[3] In Bezug auf Instagram bedeutet dies, dass die design-technischen Vorgaben (das Interface) und das bereits vorhandene Wissen über Instagram ein bestimmtes Umgehen und eine bestimmte Anwendung der Plattform zu Folge haben.[4] So wird die Praktik des sofortigen Teilens nicht nur von der App vorgeschlagen, sie wird auch durch Alltagswissen und Alltagserfahrungen über die App verstärkt. Digitale Affordanzen beziehen sich aber auch auf den Inhalt des Bildes. Hier fließen ästhetische Vorgaben, die ein „gelungenes“ Bild beschreiben, die immerwährende Reproduktion z.B. touristischer Motive und das Aufkommen neuer, beliebter und viraler Motive zusammen.[5]

Abbildung 2: Gasthaus Margarethenhöhe. Eigene Aufnahme.

Als wir auf dem Marktplatz der Margarethenhöhe den Edeka-Laden fotografierten, versuchten wir den uns inkorporierten ästhetischen Vorgaben zu folgen. Dazu gehörte, dass das gewünschte Motiv klar, im Mittelpunkt und ohne verdeckende Elemente fotografiert wurde. Deshalb störte uns auch das Haltestellenschild vor dem Edeka-Laden: Es war im Weg. Genauso ging es uns beim Gasthaus: Der weiße Lieferwagen passte nicht in die Ästhetik, die wir anstrebten. Hier zeigt sich, wie die Nutzung von Instagram unser Erleben beeinflusst: Statt die beiden Motive zu betrachten und eventuell ein oder zwei Fotos zu machen, konzentrierten wir uns stark auf unsere Smartphones und Instagram, bis wir mit dem Hochladen fertig waren.

Mediennutzung und Erfahrung

Marc Wagenbach beschreibt die Mediennutzung als performativen Akt, „als ein sich in einem dreidimensionalen Raum zu einem spezifischen Zeitpunkt vollziehendes mediales Ereignis“.[6] Dabei baut diese Mediennutzung, also das Erleben, auf Erfahrungen und Erinnerungen der Mediennutzung auf. Sie wird dabei deshalb stets neu generiert, auch, oder gerade, weil es um ein habitualisiertes Nutzen geht.[7] Habitualisiert bedeutet hier „in Gewohnheit übergegangen“.

So lassen sich die Erfahrungen der Teilnehmenden Beobachtung in den Kontext vergangener Erfahrungen mit Instagram setzen: Als ich mich das erste Mal vor einigen Jahren bei Instagram registrierte, versuchte ich, das sofortige Teilen zu nutzen. Ich hörte aber schnell damit auf, da ich das Gefühl hatte, dauernd fotografieren zu müssen, um auf Instagram zu zeigen, wie toll und interessant mein Leben doch sei. Mit dieser Erfahrung, die mit nicht mehr präsent war, ging ich an die Forschung heran. Ich erlebte Instagram neu, erlebte aber auch Bekanntes, was sich aus meinen Erfahrungen erkennen lässt. Auch meine Forschungspartnerin hat Erfahrungen mit Instagram, hatte aber vor ca. fünf Jahren mit der Nutzung aufgehört, da sie es nicht mochte. Wie oben zitiert lebt sie lieber im Moment, was für sie bedeutet, nicht ihre Erlebnisse online zu teilen bzw. stetig online zu sein.

Erlebnisräume“

Die Raumtheorien der Kulturwissenschaften bezeichnen, besonders seit dem spatial turn, Raum als abstraktes und (stets neu) konstruiertes Artefakt.[8] Demgegenüber steht der Ort, der konkret, greifbar und lokal ist. Nach Gertrud Lehnert, mit Verweis auf Henri Lefebvre, überlagern Räume Orte. Sie tun dies funktional, aber auch „aufgrund unterschiedlicher atmosphärischer, ästhetischer und emotionaler Qualitäten, die sie entfalten, und die ihnen zugefügt werden“.[9] Im Grunde bedeutet dies, dass ein Ort von mehreren Räumen überlagert werden kann, abhängig davon, wie und was mit ihm gemacht wird. Auch in Verbindung mit Medien wird von Räumen gesprochen, so zum Beispiel von translokalen Kommunikationsräumen,[10] bei denen die Menschen sozusagen an zwei Orten gleichzeitig sind und der Raum auch durch Bilder, Texte und Filme repräsentiert werden kann.[11]

Im Bezug auf die Forschung bedeutet dies, dass wir nicht nur durch die Mediennutzung Erfahrungen und Erinnerungen hervorrufen, sondern auch an mehreren Räumen teilhaben. Die Nutzung von digitalen Medien bedeutet immer, dass ein anderer Raum betreten oder geschaffen wird. Gleichzeitig befindet man sich aber auch in etwaigen Räumen, die sich auf die physische Präsenz beziehen: ein historischer Raum, der Raum als Wohnsiedlung, auch der Raum als Motiv. Die Überlagerung dieser Räume und die Teilnahme am translokalen Kommunikationsraum bedeuten eine Erweiterung unserer Erfahrungen und Umstellung unserer Praktiken. Es bedeutet aber ebenfalls eine Anstrengung, da die Teilnahme an mehreren Räumen auch das Befolgen der Regeln (z.B. über Kommunikation) und das Erreichen von Zielen (z.B. die Repräsentation als Tourist) bedeutet. Die Veränderung des Erlebens bedingt sich hier durch die Teilnahme an digitalen Räumen.

Wie verändert die Praxis des sofortigen Teilens auf Instagram nun das Erleben eines Ortes? Eine Antwort fällt hier schwer, wird das Erleben doch von vielen Aspekten beeinflusst. In diesem Text konnte ich nur einige davon darstellen; dabei interessiert ebenfalls, wie der Einfluss des Digitalen auf das Erleben ausfällt, z.B. wie sich zwischenmenschliche Dynamiken dadurch verändern.


[1] Interview mit Annika (anonymisiert) am 4. April 2019.
[2] Reckwitz, Andreas: Elemente einer Soziologie des Ästhetischen. In: Kay Junge et al. (Hg.): Erleben, Erleiden, Erfahren: Zur Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft. Bielefeld 2008, S. 297-317, hier S. 306.
[3] Bareither, Christoph: Internet-Emotionspraktiken. Theoretische und methodische Zugänge. In: Burkhart Lauterbach (Hg.): Alltag – Kultur – Wissenschaft. Würzburg 2017, S. 11-35, hier S. 13.
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. ebd.
[6] Wagenbach, Marc: Digitaler Alltag. Ästhetisches Erleben zwischen Kunst und Lifestyle. München 2012, S. 10.
[7] Ebd., S. 54
[8] Vgl. Lehnert, Gertrud: Raum und Gefühl. In: Dies. (Hg.): Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung. Bielefeld 2011, S. 9-25, hier S. 12.
[9] Ebd.
[10] Reißmann, Wolfgang: Warum Netzwerkplattformen (keine) Räume sind: Ein Beitrag aus medienökologischer Perspektive. In: T. Junge (Hg.): Soziale Netzwerke im Diskurs. Beiträge zur Bewertung und Einordnung eines neuen Phänomens. Hagen 2013, S. 88-101, hier S. 92.
[11] Vgl. ebd., S. 98.