Die Zeche auf Instagram und die Arbeit unter Tage – Erinnerungen eines Bergmanns

von S. Köchling

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Abbildung 1: Zeche Consol. Veröffentlichung des Instagramprofils: kohlenpottpictures.

„Ich hab mich gewundert, jetzt ohne Scheiß, dass das doch so viel Resonanz gegeben hat.“, sagte Herbert nachdem ich ihm verschiedene Bilder auf Instagram unter den Hashtags #Ruhrgebietsliebe und #Ruhrpottromantik gezeigt habe. Herbert hat 36 Jahre als Bergmann auf der Zeche gearbeitet und ist nun im Vorruhestand. In dem offenen Interview mit ihm erzählte er mir von seinen persönlichen Erinnerungen und Empfindungen der Zechenarbeit und wie er die heutige mediale Repräsentation der Zechen wahrnimmt. Hierbei habe ich ihn bewusst mit romantisierenden Darstellungen der Zechen konfrontiert, wie zum Beispiel Bilder der Zeche vor einem Sonnenuntergang (siehe Abb. 1). Hierdurch wollte ich beobachten, was diese nostalgische Darstellung der Zechen auf Instagram in Herbert auslöst. Denn die eigentliche Zechenarbeit war keinesfalls romantisch, geschweige denn ästhetisch, sondern körperlich anstrengend, dunkel und dreckig. Dennoch nutzen viele Akteur*innen auf Instagram die Zechen des Ruhrgebietes, um die diese künstlerisch zu präsentieren und ihr eigenes Profil damit aufzuwerten.           

Erinnern und Erzählen

Was bedeutet Erinnern? Die Kulturwissenschaftlerin Astrid Erll erklärt, dass Erinnern stets ein Prozess sei, der ein Indiz für die Bedürfnisse und Belange der erinnernden Person in der Gegenwart darstelle.[1] Medien, wie in diesem Fall Instagram, stellen hierbei die Schaltstelle zwischen individuellen und soziokulturellen Dimensionen des Gedächtnisses dar und dienen somit als Vermittlungsinstanz.[2] Dadurch beeinflussen diese medialen Repräsentationen sowohl das kollektive, als auch das individuelle Gedächtnis. Diese theoretischen Überlegungen bestätigten sich in dem Interview mit Herbert, da durch das Zeigen von Bildern seine Erinnerungen intensiviert und beeinflusst wurden: „Ja ich finde diese alten Bilder von der Zeche sehr beeindruckend, wenn du siehst wie sich das seit 1950 oder 60 verändert hat“. Nach einem kurzen Impuls meinerseits erzählte Herbert von seinen Erinnerungen. Er erläuterte sein Wissen über die Geschichte der Zeche und seine Erfahrungen von der Arbeit unter Tage, hierdurch rekonstruierte er einen Teil seiner Lebensgeschichte. Autobiographische Erzählungen können in der Kulturanthropologie als alltägliches Handeln untersucht werden, wie Ove Sutter in seiner Dissertationsarbeit beschreibt. Er analysierte darin Strukturen, Mittel und Funktionen des autobiographischen Erzählens über Arbeit,[3] die sich auch in dem Interview mit Herbert widerspiegelten. Eine wichtige Funktion ist die Konstruktion einer „narrativen Identität“ des Erzählens, welche nach Gabriele Lucius-Hoene innerhalb einer Erzählung geformt, diskutiert und verhandelt wird. Hiermit positioniert sich die erzählende Person innerhalb der Gesellschaft.[4] Die erzählten Erinnerungen von Herbert bilden einen Teil seiner narrativen Identität. Hierdurch wurden Verhältnisse der damaligen Zechenarbeit deutlich, die ich mit heutigen Arbeitsverhältnissen kontrastiert habe.

Das Ansehen der Zechenarbeit: Damals und Heute

Aus der Erzählung Herberts geht hervor, dass er seine Arbeit auf der Zeche weitestgehend mit positiven Erlebnissen in Verbindung setzt. Dies wird deutlich als er auf die Frage, ob er zufrieden sei mit dem was er gemacht hat antwortet: „Auf jeden Fall! Ich würde auch immer wieder auf der Zeche anfangen ehrlich gesagt.“ Hierdurch positioniert er sich bewusst im Milieu des (ehemaligen) Zechenarbeiters, dessen Arbeit heutzutage, unter anderem durch die ästhetische Darstellung der Zechen auf Instagram, sehr viel Wertschätzung erfährt. Während des Interviews wird jedoch auch deutlich, dass seine frühere soziale Position anders gestellt war als heute. So erinnerte er sich auch an negative Aspekte der Arbeit unter Tage: „Ich habe das selbst gesehen, als ich mit 14 angefangen bin war das eine Zweiklassengesellschaft. Egal wo du nach der Schule angefangen hast, du warst immer höhergestellt als die auf der Zeche“. Seine Erinnerung gibt Aufschlüsse über die gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit. Herbert erläutert hier die niedrige Position der Zechenarbeiter und stellt seine eigene Identität dar. Das gesellschaftliche Ansehen der Bergleute erläutert er folgendermaßen:

„Das Klischee von früher, Zeche, die haben einen an der Klatsche und sind alles Idioten […] so nach dem Motto, du bist nirgends mehr untergekommen, aber du bist wenigstens bei der Zeche untergekommen.“

Hierdurch zeigt sich, dass die Zechenarbeit nicht immer als ehrenwerte Arbeit angesehen war und in seiner Erinnerung und Wahrnehmung von gesellschaftlichen Akteur*innen als stupide und minderwertig eingeschätzt wurde. Dennoch schämt sich Herbert keinesfalls auf der Zeche gearbeitet zu haben, sondern ist heute vielmehr stolz darüber.

Ästhetische Repräsentation unästhetischer Arbeit

Die auf Instagram hochgeladenen Bilder zeigen häufig romantisierte Darstellungen der Zechen, die von Fotograf*innen, Influencer*innen oder Blogger*innen aufgenommen wurden. Diese künstlerische Präsentation der Zechenbilder auf Instagram bestätigt die These, dass nicht nur Arbeit, sondern damit einhergehend alle Lebensbereiche immer stärker einem Leitbild der Kreativität und Ästhetisierung unterworfen werden. Dieser Paradigmenwechsel wird von  Ove Sutter, Valeska Flor und Klaus Schönberger[5] als Prozess der Ästhetisierung beschrieben. Auch wenn diese Ästhetisierungsdynamiken nicht in allen Berufsgruppen aufzufinden sind, macht sich eine intensivere Zuwendung zu ästhetisierenden Darstellungsweisen deutlich bemerkbar und greift schließlich in alle Bereiche der alltäglichen Lebensführung. Aufwendig bearbeitete Bilder von monumentalen, verlassenen und rostigen Fördertürmen auf Instagram kommen eher einer Ästhetik der Ruinennostalgie nach. Die eigentliche Zechenarbeit hingegen entspricht vielmehr den sogenannten fordistischen Arbeitsbedingungen, die Herbert wie folgt beschreibt:

,,Es hat sich ja keiner Vorstellungen über die Bedingungen gemacht […] andere würden vielleicht Platzangst kriegen oder könnten die Hitze nicht abhaben, aber für mich war es irgendwie ok. Es ist zwar nicht immer leicht gewesen, wir haben da teilweise auch gestanden und waren am Ende, erschöpft und ausgelaugt.“

Die Bilder auf Instagram, mit denen ich Herbert konfrontiert habe, zeigen die Zechen vor Sonnenuntergängen, mit nostalgisch wirkenden Filtern oder mit bunten Lichtern bestrahlt. Nichtsdestotrotz brachte Herbert diese mit der harten Arbeit unter Tage in Verbindung. Allerdings wertete er die Kluft zwischen gegenwärtiger Wirklichkeit und seiner Erinnerung nicht negativ, sondern betont den historischen Wert der Zechen:

,,Ich finde es immer wieder schön zu sehen, weil wir unheimlich viele Zechen gehabt haben und nicht jede Zeche gleich ist. Und wenn du den ganzen Hintergrund siehst auf den ganzen Bildern, was daraus geworden ist, das ist schon beeindruckend. Die haben das ja nicht nur einfach abgerissen sondern auch mehr oder weniger genutzt als Industriedenkmal. Sie haben es stehen gelassen und auch dementsprechend dargestellt, so nach dem Motto ‚Hier, das ist das Ruhrgebiet‘.“

Aus dieser Aussage wird deutlich, dass für Herbert besonders der Erhalt der Zechen wichtig ist und er die heutige mediale Darstellung als positiv wertet, da diese dazu beiträgt, den dunklen und unästhetischen Arbeitsalltag künstlerisch darzustellen und somit die Vergangenheit seiner Heimatregion zu würdigen.

Unästhetische Sicherheit und prekäre Ästhetik

Heutige kreative Berufe, die häufig künstlerisch oder geisteswissenschaftlich ausgerichtet sind, dienen nicht nur der Selbstverwirklichung, sondern sind zumeist auch prekär[6]. Dies hat den Grund, dass innerhalb dieser Berufsgruppen die Arbeitsverträge oft befristet sind und ein Hochschulstudium noch lange kein Garant für einen Job ist. Die Kreativindustrie basiert auf Entgrenzung von Arbeit und Leben, sowie der mehrfachen Subjektivierung der Arbeitenden. Zudem produzieren und vermarkten die Akteur*innen ihre Medieninhalte selbst und sind durch flexible Arbeitsverhältnisse ungebunden an Ort und Zeit[7]. Auch die Fotograf*innen, Blogger*innen und Influencer*innen, die kunstvolle Bilder der Zechenindustrie auf Instagram hochladen, können als kreative Kunstschaffende gesehen werden. Zum einen profitieren sie von den selbstverwirklichenden Möglichkeiten ihrer Arbeit und einem flexiblen Arbeits- und Sozialleben; zum anderen birgt diese Flexibilität große Herausforderungen und Unsicherheiten in Bezug auf ihre Beschäftigungssituation. Die Arbeit auf der Zeche hingegen war immer sicher, wie Herbert betont. Wie viele andere hat auch er mit 14 Jahren unter Tage angefangen und bis zu seinem Vorruhestand als Bergmann gearbeitet. Um seine Stelle brauchte er dabei nie fürchten und selbst die jüngeren Zechenarbeiter*innen konnten sicher sein, dass sie auch nach Schließung der Bergwerke eine Festanstellung bekommen. So erklärt Herbert:

„Was ich immer gut fand war, dass die Zeche immer gesagt hat, die werden keinen einfach so gehen lassen. Die haben immer gesehen, dass sie die Leute untergebracht haben. Außerdem können die Leute auf der Zeche auch arbeiten und die Arbeitgeber sind froh die Zechenleute zu haben. Auch wenn die umgeschult wurden oder sich in einen neuen Beruf einbringen mussten, waren die meisten doch überrascht, dass die sehr vielseitig arbeiten können und qualifiziert sind.“

Hieran wird ein Wandel von einem fordistischen Arbeitsparadigma hin zu einem postfordistischen deutlich. Während die heutigen neuen Formen von Zeit- und Arbeitsorganisation von Flexibilität und Unsicherheiten geprägt sind, bot der frühere Lebenslauf den Menschen eine sichere Struktur in Form eines sicheren und auf lange Sicht verlässlichen Lohnverhältnisses[8]. Viele gegenwärtige Arbeitsverhältnisse sind zwar künstlerisch und kreativ ausgerichtet, bieten den Menschen jedoch keine sicheren Zukunftsperspektiven. Die Beschäftigung auf der Zeche hingegen steht repräsentativ für einen schmutzigen, gefährlichen und dunklen Arbeitsalltag, der allerdings berufliche und finanzielle Absicherung lieferte.

Erinnern ist wichtig

Für Herbert ist die Zeit auf der Zeche sehr wertvoll und er erinnert sich gerne zurück. Er betont besonders die engen Freundschaften, die geschlossen wurden: „Dieser ganze Zusammenhalt, den wir über mehrere Jahrzehnte gehabt haben“, und erklärt, dass er zufrieden sei mit dem, was er sein Leben lang gemacht hat. Genau aus diesen Gründen ist für ihn die Würdigung der Zeche sehr wichtig, ob es in Form von Denkmälern oder im Internet ist. Werte wie Zusammenhalt und langwährende Freundschaften werden so symbolisch in den Industriedenkmälern repräsentiert und durch soziale Medien  wie Instagram immer wieder reproduziert und am Leben gehalten. So ist die Zeche nicht nur ein Stück subjektive Erinnerung für Herbert, sondern bleibt auch „ein Teil der Geschichte des Ruhrpotts und sollte auch immer aufrechterhalten werden“.


[1] Vgl. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart 2018, S. 7.
[2] Vgl. ebd., S. 35.
[3] Vgl. Sutter, Ove: Erzählte Prekarität. Autobiographische Verhandlungen von Arbeit und Leben im Postfordismus. Frankfurt a. M. 2003.
[4] Lucius-Hoene, Gabriele: Narrative Identitätsarbeit im Interview. In: Birgit Griese (Hg.): Subjekt – Identität – Person? Reflexionen zur Biographieforschung. Wiesbaden 2010, S. 149–170.
[5] Sutter, Ove/Flor, Valeska/Schönberger, Klaus: Ästhetisierung der Arbeit: Eine Einleitung und Plädoyer für die Überwindung der Dichotomisierung von „Sozialkritik“ und „Künstlerkritik“. In: Ove Sutter/Valeska Flor (Hg.): Ästhetisierung der Arbeit: Empirische Kulturanalysen des kognitiven Kapitalismus. Münster 2017, S. 7-30.
[6] Eine Kritik an der analytischen Trennung dieser Umstände in „Sozialkritik“ und Künstlerkritik“ findet sich ebd.
[7] Vgl. Huber, Birigit: Arbeiten in der Kreativindustrie: Eine multilokale Ethnografie der Entgrenzung von Arbeits- und Lebenswelt. Arbeit und Alltag. Beiträge zur ethnografischen Arbeitskulturenforschung. Frankfurt a. M. 2003.
[8] Vgl. Sennett, Richard. Der flexible Mensch. New York 2008.